Grounded Theory: Einführung, Methodologie & Analyse erklärt
Die Grounded Theory ist eine qualitative Forschungsmethode, die darauf abzielt, Theorien aus empirischen Daten zu entwickeln. Sie wurde von Anselm Strauss und Barney Glaser in den 1960er Jahren entwickelt.
Überblick über die Grounded Theory
- Die Methode basiert auf der systematischen Sammlung und Analyse von Daten.
- Ziel ist es, neue Theorien zu generieren, anstatt bestehende Hypothesen zu testen.
- Der Prozess der Datensammlung und -analyse ist iterativ und wird wiederholt durchgeführt, bis keine neuen Erkenntnisse mehr gewonnen werden können (theoretische Sättigung).
Bedeutung der Grounded Theory in der Forschung
- Sie ermöglicht es Forschern, tiefere Einblicke in komplexe Phänomene zu gewinnen.
- Besonders nützlich in Bereichen wie Soziologie, Psychologie und Pädagogik.
- Hilfreich zur Entwicklung neuer Konzepte und Erklärungsmodelle.
Entwicklung und Beitrag von Anselm Strauss und Barney Glaser zur Grounded Theory
- Anselm Strauss und Barney Glaser entwickelten die Grounded Theory, um eine strukturierte Methode zur Theorieentwicklung anzubieten.
- Ihr Werk "The Discovery of Grounded Theory" legte den Grundstein für diese Methodologie.
- Beide Forscher betonten die Wichtigkeit der engen Verbindung zwischen Daten und Theorie.
Grundkonzepte der Grounded Theory
Theoretisches Modell als zentrales Element der Grounded Theory
Ein theoretisches Modell ist das Herzstück der Grounded Theory. Es repräsentiert die systematische Sammlung und Analyse von Daten, um eine Theorie zu entwickeln, die tief in den empirischen Befunden verwurzelt ist. Das Modell hilft dabei, komplexe Phänomene zu verstehen und zu erklären, indem es die Beziehungen zwischen verschiedenen Konzepten aufzeigt. Ein Beispiel für ein theoretisches Modell könnte die Untersuchung der Schmerzwahrnehmung nach einem Beinbruch sein, bei dem unterschiedliche Schmerzarten und ihre Behandlungsmethoden analysiert werden.
Bedeutung der theoretischen Sättigung für die Forschung
Die theoretische Sättigung ist ein entscheidender Punkt in der Grounded Theory. Sie wird erreicht, wenn durch die fortlaufende Datensammlung und -analyse keine neuen Informationen oder Einsichten mehr gewonnen werden können. Dies bedeutet, dass das entwickelte theoretische Modell robust und umfassend ist. Beispielsweise wird bei einer Studie zur Schmerzwahrnehmung nach einem Beinbruch so lange Daten gesammelt und analysiert, bis keine neuen Kategorien oder Konzepte mehr entstehen.
Prozess des offenen, axialen und selektiven Kodierens bei der Grounded Theory
Der Kodierprozess in der Grounded Theory besteht aus drei Hauptphasen:
- Offenes Kodieren: Hierbei werden Rohdaten untersucht und in kleinere Einheiten zerlegt. Diese Einheiten werden mit Codes versehen, die beschreiben, was im Text passiert. Zum Beispiel könnten Aussagen von Patienten über ihre Schmerzintensität mit Codes wie "Starker Schmerz" oder "Schwacher Schmerz" versehen werden.
- Axiales Kodieren: In dieser Phase werden die Beziehungen zwischen den Codes untersucht und miteinander verknüpft. Dabei entstehen Achsenkategorien, die größere Zusammenhänge aufzeigen. Beispielsweise könnte die Achsenkategorie "Schmerzwahrnehmung" durch verschiedene Faktoren wie Art des Beinbruchs oder Zeitpunkt der Schmerzempfindung beeinflusst werden.
- Selektives Kodieren: Hier wird eine Kernkategorie identifiziert, die alle anderen Kategorien integriert und somit das zentrale Thema der Forschung darstellt. Bei einer Untersuchung zur Schmerzwahrnehmung könnte dies die Kategorie "Schmerzmanagement" sein.
Dieser strukturierte Ansatz ermöglicht es Forschern, detaillierte und fundierte Theorien zu entwickeln, die direkt aus den gesammelten Daten abgeleitet sind.

Datensammlung und Auswertung in der Grounded Theory
Theoretisches Sampling
Theoretisches Sampling bildet die Grundlage der Datensammlung in der Grounded Theory. Du sammelst nicht einfach zufällig Daten, sondern wählst gezielt Fälle oder Interviewpartner aus, die für deine Forschungsfrage maximale Erkenntnisse liefern können. Das Ziel ist es, möglichst unterschiedliche Perspektiven und Kontexte zu erfassen, um das Phänomen umfassend zu verstehen. Diese Auswahl erfolgt iterativ: Nach jeder Analysephase entscheidest du anhand der bisherigen Ergebnisse, welche weiteren Daten erhoben werden sollten, um Lücken zu schließen und das entstehende Theoriegebäude weiter auszubauen.
Beispiel: Bei einer Untersuchung zur Schmerzwahrnehmung nach einem Beinbruch interviewst du zunächst Patienten mit unterschiedlichen Frakturarten. Zeigen sich neue Aspekte – etwa abweichende Schmerzverläufe bei bestimmten Altersgruppen – ziehst du gezielt weitere Betroffene mit diesen Merkmalen hinzu.
Kodierparadigma
Kodierparadigma spielt eine zentrale Rolle während der Analyse. Es dient als analytisches Raster, um Zusammenhänge systematisch zu erfassen und Kategorien miteinander zu verknüpfen. Das Paradigma umfasst:
- Phänomen: Zentrales Thema (z.B. Schmerzwahrnehmung)
- Ursächliche Bedingungen: Auslöser (z.B. Beinbruch)
- Kontext: Rahmenbedingungen (Alter, Vorgeschichte)
- Intervenierende Bedingungen: Faktoren wie Vorerkrankungen oder Unterstützungssysteme
- Handlungs-/Interaktionsstrategien: Umgang mit dem Schmerz (z.B. Einnahme von Schmerzmitteln)
- Konsequenzen: Auswirkungen auf Alltag und Genesung
Das Kodierparadigma bietet dir ein strukturiertes Gerüst für die Auswertung komplexer Sachverhalte wie Schmerzmanagement nach Verletzungen. So lassen sich nicht nur Einzelphänomene analysieren, sondern auch deren Wechselwirkungen systematisch nachvollziehen.
Datenquellen
Datenquellen können vielfältig sein: Interviewtranskripte, Beobachtungsprotokolle oder auch schriftliche Dokumente werden durch das Paradigma vergleichbar gemacht und liefern die Basis für ein belastbares Theoriemodell.
Anwendung der Grounded Theory Methodologie
Das Erstellen eines Theoriemodells mit der Grounded Theory Methode folgt einem klaren Ablauf, der sich in der Praxis bewährt hat. Schritt für Schritt entsteht aus Rohdaten ein tragfähiges theoretisches Modell:
- Theoretische Annahmen klären: Ausgangspunkt ist oft die Literatur zu einem Thema, um erste forschungsleitende Annahmen zu sammeln.
- Daten erheben: Passende Datenquellen auswählen – Interviews, Beobachtungen oder Dokumente. Theoretisches Sampling sichert dabei eine möglichst breite Informationsbasis.
- Offenes Kodieren: Jedes Interview oder Protokoll wird Zeile für Zeile analysiert. Zentrale Aussagen werden als Codes notiert – etwa "starke Schmerzen", "Tabletteneinnahme".
- Axiales Kodieren: Beziehungen zwischen Codes und Kategorien herausarbeiten; z.B. Ursachen von Schmerzen, Kontextfaktoren, Handlungen wie Schmerzmanagement.
- Selektives Kodieren: Die wichtigsten Kategorien werden identifiziert und miteinander verknüpft. Daraus entsteht die zentrale Kernkategorie (z.B. "Schmerzmanagement").
- Theoriemodell formulieren: Die Achsenkategorien und deren Beziehungen werden als Modell grafisch oder textlich dargestellt.
Beispiel: Bei einer Studie zu Beinbruchschmerz werden Faktoren wie Bruchart, Schmerzintensität und Behandlungsstrategien im Theoriemodell abgebildet.
Memo in Grounded Theory Methode – Memos sind das Notizbuch des Forschenden während des gesamten Analyseprozesses:
- Sie halten spontane Gedanken, Hypothesen, Interpretationen fest.
- Memos dokumentieren den Weg von ersten Codes bis zur fertigen Theorie.
- Sie helfen, Zusammenhänge zwischen Kategorien frühzeitig zu erkennen.
Ein Memo kann z.B. reflektieren: "Schmerzempfinden hängt offenbar stark von bisherigen Erfahrungen ab – diese Kategorie weiterverfolgen."
Memos sichern Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Forschungsprozess, was besonders bei komplexen Analysen unverzichtbar ist.
Das strukturierte Vorgehen bei der Erstellung eines Theoriemodells und der konsequente Einsatz von Memos sind Kernbestandteile für eine gelungene Auswertung & Methodologie nach dem Prinzip "Grounded Theory einfach erklärt".
Vergleichende Analyse und Ergebnisdarstellung mit Grounded Theory
Durchführung einer vergleichenden Analyse mit Grounded Theory
Die vergleichende Analyse ist ein zentraler Bestandteil der Grounded Theory. Sie ermöglicht es dir, verschiedene Datenquellen und -typen systematisch zu vergleichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Diese Methode hilft dir dabei, theoretische Konzepte und Kategorien zu entwickeln, die auf empirischen Daten basieren.
Schritte zur Durchführung einer vergleichenden Analyse:
- Sammle umfangreiche Daten aus verschiedenen Quellen wie Interviews, Beobachtungen oder Dokumenten.
- Kodierung der gesammelten Daten durch offenes, axiales und selektives Kodieren.
- Ständige Vergleiche zwischen neuen und bereits kodierten Daten durchführen.
- Identifiziere wiederkehrende Muster und Themen in den Daten.
- Entwickle Hypothesen basierend auf den identifizierten Mustern.
Dieser iterative Prozess stellt sicher, dass deine Theorie robust und fundiert ist. Durch die kontinuierliche Anpassung und Verfeinerung deiner Kategorien erzielst du eine tiefere Einsicht in das Forschungsthema.
Darstellung der Ergebnisse durch ein Theoriemodell im Kontext der Forschung
Die Ergebnisdarstellung in der Grounded Theory erfolgt häufig durch die Entwicklung eines Theoriemodells. Dieses Modell visualisiert die Beziehungen zwischen den Kategorien und Konzepten, die während des Kodierprozesses identifiziert wurden.
Elemente eines Theoriemodells:
- Kernkategorie: Die zentrale Kategorie, die alle anderen Kategorien verbindet.
- Achsenkategorien: Hauptkategorien, die spezifische Aspekte des Phänomens beschreiben.
- Unterkategorien: Detaillierte Unterteilungen der Achsenkategorien.
Ein Beispiel für ein Theoriemodell könnte sich auf das Schmerzmanagement nach einem Beinbruch konzentrieren:
Kernkategorie: Schmerzmanagement
Achsenkategorien:
- Schmerzwahrnehmung
- Schmerzbehandlung
Unterkategorien:
- Art des Schmerzes (z.B. stark, schwach)
- Zeitpunkt der Schmerzintensität (z.B. morgens, abends)
- Behandlungsmethoden (z.B. Medikamente, Physiotherapie)
Dieses Theoriemodell ermöglicht es dir, die komplexen Zusammenhänge im Kontext deiner Forschung anschaulich darzustellen und den Lesern einen klaren Überblick über deine Erkenntnisse zu geben.
Häufig gestellte Fragen zur Grounded Theory Methodik in den Sozialwissenschaften
Verständnis des Kodierparadigmas nach Strauss und Corbin
Das Kodierparadigma von Strauss und Corbin ist ein zentrales Element der Grounded Theory. Es umfasst die Identifikation und Analyse von:
- Phänomenen: Zentrale Themen oder Muster im Datenmaterial.
- Ursächlichen Bedingungen: Faktoren, die das Auftreten eines Phänomens beeinflussen.
- Kontextuellen Bedingungen: Rahmenbedingungen, unter denen das Phänomen auftritt.
- Handlungsstrategien: Maßnahmen oder Reaktionen der beteiligten Personen.
- Konsequenzen: Ergebnisse oder Auswirkungen der Handlungen.
Unterschiede zwischen qualitativer Inhaltsanalyse und Grounded Theory
Die qualitative Inhaltsanalyse und die Grounded Theory unterscheiden sich wesentlich in ihrer Methodologie:
Qualitative Inhaltsanalyse:
- Strukturierte Vorgehensweise
- Vorab definierte Kategorien
- Ziel: Beschreibung des Datenmaterials
Grounded Theory:
- Iterativer Prozess
- Kategorien entstehen aus den Daten
- Ziel: Entwicklung einer neuen Theorie
Praxisanleitung für die Anwendung von Grounded Theory in der Forschung
Für die Anwendung der Grounded Theory in der Forschung folgen Sie diesen Schritten:
- Theoretische Annahmen formulieren: Basierend auf Literaturrecherche entwickeln Sie erste Annahmen.
- Datensammlung durchführen: Sammeln Sie empirische Daten durch Interviews, Umfragen oder Beobachtungen.
- Kodierung des Materials:
- Offenes Kodieren: Identifizieren Sie relevante Phänomene.
- Axiales Kodieren: Entwickeln Sie Beziehungen zwischen Kategorien.
- Selektives Kodieren: Bestimmen Sie eine zentrale Kategorie.
- Erstellung eines Theoriemodells: Nutzen Sie Memos zur Dokumentation Ihres Prozesses und zur Weiterentwicklung Ihrer Theorie.
Diese Schritte gewährleisten eine systematische und fundierte Herangehensweise bei der Anwendung der Grounded Theory Methodik in den Sozialwissenschaften.
Häufig gestellte Fragen
Was ist Grounded Theory und wer hat diese Methodologie entwickelt?
Grounded Theory ist eine qualitative Forschungsmethode, die darauf abzielt, Theorien direkt aus den erhobenen Daten zu entwickeln. Sie wurde von Anselm Strauss und Barney Glaser entwickelt und zeichnet sich durch einen systematischen Ansatz zur Datenauswertung aus.
Welche Grundkonzepte sind zentral für die Grounded Theory?
Zu den Grundkonzepten der Grounded Theory gehören das theoretische Modell, die theoretische Sättigung sowie die Kodierprozesse: offenes, axiales und selektives Kodieren. Diese Konzepte ermöglichen eine strukturierte Analyse und Theoriebildung aus qualitativen Daten.
Wie funktioniert das theoretische Sampling in der Grounded Theory?
Das theoretische Sampling ist ein gezielter Auswahlprozess von Datenquellen, der während der Forschung flexibel angepasst wird, um relevante Informationen zu sammeln. Es unterstützt die Entwicklung eines fundierten theoretischen Modells, indem es auf bisherige Erkenntnisse reagiert.
Welche Rolle spielen Memos im Kodierprozess der Grounded Theory?
Memos sind schriftliche Notizen, die während des Kodierens angefertigt werden. Sie dokumentieren Gedanken, Interpretationen und theoretische Überlegungen und sind essenziell für die Reflexion und Entwicklung des Theoriemodells im Forschungsprozess.
Wie wird eine vergleichende Analyse mit Grounded Theory durchgeführt?
Die vergleichende Analyse beinhaltet das fortlaufende Vergleichen von Datenfragmenten während des Kodierens, um Muster und Unterschiede zu identifizieren. Dies führt zur Entwicklung eines konsistenten Theoriemodells, das die Forschungsergebnisse strukturiert darstellt.
Was unterscheidet die Grounded Theory von der qualitativen Inhaltsanalyse?
Während die qualitative Inhaltsanalyse vorgegebene Kategorien verwendet, um Daten zu interpretieren, entwickelt die Grounded Theory neue Theorien direkt aus den Daten mittels systematischer Kodierverfahren. Dadurch bietet sie einen induktiven Ansatz zur Erforschung sozialwissenschaftlicher Phänomene.